Private Krankenhäuser und öffentliche Finanzierung: Lehren aus der estnischen Gesundheitsreform
- Zeumed
- 19. März
- 4 Min. Lesezeit

Gesundheitssysteme weltweit stehen vor der Herausforderung, Effizienz, Zugang und finanzielle Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen. Eine der am meisten diskutierten Ansätze ist die Integration privater Krankenhäuser in öffentliche Finanzierungsmechanismen – ein Modell, das Marktprinzipien nutzt, um Innovation und Wahlfreiheit zu fördern, während es gleichzeitig den universellen Zugang zur Gesundheitsversorgung gewährleistet. Befürworter argumentieren, dass dieses Modell Effizienz steigert, Innovationen vorantreibt und Patienten mehr Wahlmöglichkeiten bietet, während Kritiker vor möglichen Ungleichheiten und steigenden Kosten warnen.
Ein aufschlussreiches Beispiel für diesen Ansatz ist Estland, ein dynamisches europäisches Land, das nach seiner Unabhängigkeit im Jahr 1991 eine ehrgeizige Gesundheitsreform durchführte. Besonders hervorzuheben ist der Krankenhaus-Masterplan, der wertvolle Erkenntnisse zur Krankenhauskonsolidierung, zu Finanzierungsmodellen und zur Steuerung öffentlich-privater Gesundheitssysteme liefert. Dieser Artikel konzentriert sich ausschließlich auf den Krankenhaus-Masterplan: Hat er funktioniert, und was können andere Länder aus Estlands Erfahrung lernen?
Das estnische Gesundheitssystem: Ein dreiphasiger Transformationsprozess
Estland erbte ein sowjetisch geprägtes Gesundheitssystem – zentralisiert, krankenhauslastig und ineffizient. Die Reform erfolgte in drei zentralen Phasen:
Reform der Gesundheitsfinanzierung (1992) – Einführung des estnischen Krankenversicherungsfonds (EHIF), eines sozialen Versicherungsmodells, das durch Lohnsteuern finanziert wird und das vorherige steuerfinanzierte System ersetzt.
Reform der Krankenhausbesitzverhältnisse (1994–2001) – Dezentralisierung der Krankenhäuser, von denen viele in autonome Stiftungen oder Aktiengesellschaften umgewandelt wurden, die nach privatrechtlichen Prinzipien arbeiten, aber weiterhin öffentliche Gesundheitsversorgung bereitstellen.
Krankenhaus-Masterplan (seit 2000) – Eine umfassende Restrukturierung zur Konsolidierung des Krankenhausnetzes, Optimierung der Versorgungsverteilung und Einführung leistungsorientierter Finanzierungsmodelle.
Dieser schrittweise Ansatz ermöglichte Estland den Übergang von einem ineffizienten, fragmentierten System zu einem schlankeren, leistungsfähigen Modell mit einer klaren Trennung zwischen Finanzierungsinstitutionen (EHIF) und Leistungserbringern.
Wie Estland sein Krankenhausnetz reformierte
Eine der bedeutendsten Maßnahmen Estlands war die Rationalisierung seines Krankenhausnetzes. Vor der Reform hatte das Land über 120 Krankenhäuser für nur 1,5 Millionen Einwohner – weit über dem klinisch und finanziell tragbaren Maß. Der Krankenhaus-Masterplan zielte darauf ab, Ineffizienzen zu verringern und gleichzeitig den gerechten Zugang zur Versorgung sicherzustellen.
Zentrale Maßnahmen der Restrukturierung waren:
Reduzierung der Akutkrankenhäuser von über 120 auf weniger als 20
Einführung eines gestaffelten Krankenhaussystems mit regionalen, zentralen und allgemeinen Krankenhäusern
Umstellung der Finanzierung auf Fallpauschalen zur Förderung von Effizienz und Qualität
Förderung des Wettbewerbs zwischen autonomen Anbietern bei gleichzeitiger Einhaltung einheitlicher Qualitäts- und Preisvorgaben
Diese Reformen halfen Estland, seine Krankenhausinfrastruktur zu modernisieren, während unregulierte Privatisierung – wie in einigen anderen post-sowjetischen Staaten – vermieden wurde.
Hat es funktioniert? Bewertung des estnischen Erfolgs
In den letzten zwei Jahrzehnten hat Estland bedeutende Fortschritte bei der Effizienz, finanziellen Nachhaltigkeit und dem Zugang zur Gesundheitsversorgung gemacht. Ein deutlicher Erfolgsindikator ist die Reduzierung der Krankenhauskapazitäten. Im Jahr 2005 hatte Estland noch deutlich mehr Krankenhausbetten pro Kopf als viele westeuropäische Länder. Bis 2021 sank die Bettenzahl auf 4,4 pro 1.000 Einwohner und entsprach damit fast dem EU-Durchschnitt von 4,8 Betten pro 1.000 Einwohner. Diese Entwicklung spiegelt die bewusste Verlagerung von stationärer hin zu ambulanter und gemeindenaher Versorgung wider.
Die durchschnittliche Verweildauer im Krankenhaus gilt als Effizienzindikator. Im Jahr 2005 betrug sie in Estland 7,8 Tage, im Jahr 2023 nur noch 5,8 Tage. Diese Reduzierung deutet auf effizientere Behandlungsprozesse und verbesserte Patientensteuerung hin. Während Estland weiterhin über den Werten Dänemarks (4,6 Tage) und der Niederlande (5,2 Tage) liegt, ist es nun mit Schweden (5,5 Tage) vergleichbar und liegt deutlich unter Deutschland (7,5 Tage).
Aus finanzieller Sicht ist das estnische Gesundheitssystem kosteneffizient. Die Gesundheitsausgaben pro Kopf beliefen sich 2021 auf 2.124 EUR – etwa die Hälfte des EU-Durchschnitts von 4.028 EUR. Im internationalen Vergleich gibt Estland zudem weniger vom BIP für das Gesundheitswesen aus als viele europäische Nachbarn. 2021 betrugen die Gesundheitsausgaben 6,7 Prozent des BIP, während Deutschland 12,8 Prozent, die Niederlande 11,1 Prozent, Dänemark 10,8 Prozent und Schweden 10,3 Prozent ausgaben. Die niedrigeren Gesamtausgaben sind teilweise auf geringere Löhne für medizinisches Personal zurückzuführen, was die Arbeitskosten im Vergleich zu einkommensstarken Ländern reduziert. Gleichzeitig hat die Konsolidierungsstrategie des Krankenhaussektors die Infrastrukturkosten gesenkt und die Effizienz gesteigert, während die Verwaltungskosten unter 3 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben blieben – im Vergleich zu 5 bis 6 Prozent in Deutschland und 4 bis 5 Prozent in den Niederlanden.
Wartezeiten waren eine große Herausforderung für Estland. Vor 2020 mussten Patienten oft 1,5 bis 2 Jahre auf elektive Eingriffe warten. Durch gezielte Investitionen und eine Neustrukturierung der Versorgung konnten die Wartezeiten bis 2022 auf unter sechs Monate reduziert werden. Dennoch bleiben Länder wie Dänemark und die Niederlande, die effizientere Zuweisungssysteme betreiben, in diesem Bereich überlegen.
Obwohl die Reformen Estlands weitgehend erfolgreich waren, gab es auch Herausforderungen. Die Schließung vieler kleinerer Krankenhäuser hat in einigen ländlichen Regionen zu eingeschränktem Zugang geführt. Während Schweden verstärkt auf digitale Gesundheitslösungen und Transportinfrastruktur setzt, um regionale Ungleichheiten auszugleichen, muss Estland sicherstellen, dass Effizienzgewinne nicht auf Kosten der Versorgungsgerechtigkeit gehen.
Fazit
Estlands Gesundheitsreform zeigt, dass die Integration privater Krankenhausbetriebe in öffentliche Finanzierungsmodelle funktionieren kann, wenn sie durchdacht umgesetzt wird. Die estnische Erfahrung bietet ein einzigartiges Fallbeispiel für Krankenhauskonsolidierung und Finanzierungsstrategien – mit Erkenntnissen für sowohl entwickelte als auch sich entwickelnde Gesundheitssysteme.
Länder, die mit Ineffizienzen, Überkapazitäten im Krankenhaussektor oder nicht nachhaltigen Gesundheitsausgaben zu kämpfen haben, können Estland als Modell betrachten. Die estnische Steuerung des Gesundheitssystems mit ihrem schrittweisen, datengestützten Reformansatz hat maßgeblich zu diesem Erfolg beigetragen.
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